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Sprung ins Glück: Warum Lummenküken sich in die Tiefe stürzen

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Fauna & Tierwelt.

Ein Lummenküken zu sein ist schon schwer. Man wächst auf einem kleinen Felssims auf einer hohen Klippe in der Arktis auf, umringt von Tausenden von Vögeln, wird Füchsen und Eismöwen und sogar Eisbären gejagt. Doch noch schlimmer ist es, wenn man sich bis zu hundert Meter und mehr in die Tiefe stürzen muss, bevor die Flügel ausgewachsen sind. Dieses Verhalten, der Lummensprung, hat Wissenschaftler immer wieder beschäftigt. Nun scheint man eine Antwort darauf gefunden zu haben.

Sowohl die Dickschnabellummen (rechts, mit dem weisen Schnabelstreifen) wie auch die Trottellummen (links) legen ihr Ei auf Felssimsen hoch über dem Wasser. Ihre Brutgebiete überschneiden sich nur an wenigen Stellen der Arktis, wie beispielsweise in Tschukotka, da Dickschnabellummen eher arktische Vögel sind als ihre Verwandten. Bild: Michael Wenger
Sowohl die Dickschnabellummen (rechts, mit dem weisen Schnabelstreifen) wie auch die Trottellummen (links) legen ihr Ei auf Felssimsen hoch über dem Wasser. Ihre Brutgebiete überschneiden sich nur an wenigen Stellen der Arktis, wie beispielsweise in Tschukotka, da Dickschnabellummen eher arktische Vögel sind als ihre Verwandten. Bild: Michael Wenger

Man hat früher angenommen, dass Lummenjunge aufs Meer gehen, wenn sie etwa ein Viertel der Erwachsenengrösse erreicht haben und somit gross genug zur Selbstverteidigung und zu gross für die Kolonie geworden sind. Dadurch erachtete man diesen todesmutigen Sprung in die Tiefe als einen Kompromiss zwischen der Sicherheit der Kolonie und dem schnellem Wachstum auf dem Meer, wo das Nahrungsangebot grösser ist. Doch nachdem nun ein internationales Team von Forschern das Verhalten von Lummenvätern und ihren Jungen während sechs Wochen in Nunavut (Kanada), Grönland und auf Inseln vor der Küste von Neufundland verfolgen konnte, fanden die Forscher heraus, dass die Todesrate zwischen den Küken auf See und denjenigen in den Kolonien ähnlich war. Mehr noch, die Wissenschaftler aus Kanada und Dänemark fanden heraus, dass die Küken auf See rund etwa zweimal so schnell wie ihre Verwandten an Land wachsen, da die Väter nicht mehr zwischen den Nahrungsgebieten und den Kolonien pendeln mussten, um die Jungen zu füttern.

Da die Sommer in der Arktis kurz sind, müssen die Jungen schnell wachsen und das bedeutet harte Arbeit für die Väter, um genügend Futter heranzubringen. Glücklicherweise ist der Arktische Ozean reich an Nahrung und die Vögel müssen nicht weit fliegen. Bald sitzen die Kleinen im Wasser: Bild: Michael Wenger
Da die Sommer in der Arktis kurz sind, müssen die Jungen schnell wachsen und das bedeutet harte Arbeit für die Väter, um genügend Futter heranzubringen. Glücklicherweise ist der Arktische Ozean reich an Nahrung und die Vögel müssen nicht weit fliegen. Bald sitzen die Kleinen im Wasser: Bild: Michael Wenger

Ungewöhnlicherweise, nachdem die Eltern sich drei Wochen lang um den Nachwuchs gekümmert haben, übernimmt der Vater die Fürsorge auf dem Meer. Währenddessen vergnügt sich das Weibchen in der Kolonie mit anderen Männchen, um einen etwaigen Nachfolger zu finden, falls das Männchen nicht zurückkehrt im nächsten Jahr. Die Studie belegt die harte Arbeit des Vaters, denn das Team notierte, dass die Männchen bis zu sechs Stunden pro Tag unter Wasser verbrachten, während es die Weibchen gerade mal auf ein bis zwei Stunden brachten. „Der arktische Sommer ist kurz“, erklärt Kyle Elliot von der McGill Universität und Hauptautor der Studie. „ Die Weibchen müssen schnell ein Ei produzieren. Und Lummen haben die höchsten Energiekosten für das Fliegen. Da also die Weibchen auch noch viel Energie für die Nahrungssuche aufwenden, sind sie mitten im Sommer bereits ausgepumpt. Doch es war erstaunlich zu sehen, wie die Männchen den ganzen Sommer durch hart gearbeitet hatten für den Nachwuchs und praktische jede Minute mit der Nahrungssuche verbracht hatte.“

Lummen brüten auf engen Simsen nahe beieinander und die Küken werden zwischen Eltern und Wand eingeklemmt und so geschützt. Doch trotzdem müssen sie irgendwann den Sprung in die Tiefe wagen, bevor sie fliegen können. Bild: Michael Wenger
Lummen brüten auf engen Simsen nahe beieinander und die Küken werden zwischen Eltern und Wand eingeklemmt und so geschützt. Doch trotzdem müssen sie irgendwann den Sprung in die Tiefe wagen, bevor sie fliegen können. Bild: Michael Wenger

„Wenn man nun weiss, dass es sowohl höhere Wachstumsraten für die Küken auf See bedeutet und gleichzeitig ähnliche Überlebenschancen auf dem Wasser wie in der Kolonie, macht es Sinn, einen scheinbar todesverachtenden Sprung in die Tiefe zu wagen – Eine Win-Win-Strategie wenn es ums Überleben geht“, meint Elliot weiter. Seine Studie wurde am 8. März auf The American Naturalist veröffentlicht. „Doch wir wären nie in der Lage gewesen, dies herauszufinden ohne die neuesten Aufnahmegeräte, die es gibt und uns dadurch einen Blick auf das Leben der Lummen auf hoher See ermöglicht hatten.“

Küken werden normalerweise von Eisfüchsen oder Eismöwen gefressen. Doch hin und wieder wurden auch Eisbären gesehen, die auf den engen Simsen balancieren und sich die Jungen schnappen, ohne dass die Eltern etwas dagegen tun konnten. Bild: Michael Wenger
Küken werden normalerweise von Eisfüchsen oder Eismöwen gefressen. Doch hin und wieder wurden auch Eisbären gesehen, die auf den engen Simsen balancieren und sich die Jungen schnappen, ohne dass die Eltern etwas dagegen tun konnten. Bild: Michael Wenger

Quelle: McGill University